Das Trauerjahr
Bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts gehörte das Trauerjahr nach dem Tod eines nahen Angehörigen zum Alltag. Noch in den 1970er Jahren gab es Menschen, meist Frauen, die ein Jahr lang nach dem Tod ihres Partners nur schwarze Kleidung trugen. Dadurch signalisierten sie ihrer Umwelt: „Ich bin in Trauer. Ich habe einen nahestehenden Menschen verloren.“
Hinterbliebene mussten dadurch nicht erklären, warum sie traurig waren oder neben sich standen. Hilfe wurde immer wieder angeboten, Rücksicht genommen. Mindestens das eine Jahr lang. Die Trauerkleidung wirkte als Schutzraum gegenüber der Außenwelt. Einige Trauernde trugen die schwarze Kleidung auch über das Trauerjahr hinaus, manche ein Leben lang. Die Trauer war für sie nicht zu Ende.
Nach und nach verschwand dieses Ritual. Heute wird meist nur noch zur Beerdigung schwarz getragen und danach zur Alltagskleidung zurückgekehrt. Das ist durchaus praktisch, braucht so doch nicht extra neue Kleidung für das Trauerjahr gekauft zu werden. Nach außen hin ist allerdings damit nicht mehr erkennbar, dass ein Mensch trauert. Trauer zieht sich ins Private zurück, der Schutzraum nach außen verschwindet.
Gleichzeitig wird oft erwartet, dass wir einige Tage oder Wochen nach unserem Verlust wieder genauso leistungsfähig sind wie zuvor, unserer Arbeit nachgehen, unseren Alltag bewältigen. Hilfe wird dann kaum noch angeboten, Rücksicht auch nur selten genommen. Denn für die Umgebung ist unser Verlust nicht mehr sichtbar und verschwindet damit aus dem Bewusstsein. Das macht es für Trauernde viel, viel schwieriger, ihrer Trauer auch im Außen nachzugehen.
Doch unabhängig von dieser Entwicklung steht es dir frei, deiner Trauer mit deiner Kleidung Ausdruck zu verleihen. Vielleicht ist es an der Zeit, wieder schwarz oder eine andere Farbe, die für deine Trauer steht, zu tragen. Probier es doch einfach mal aus.
Die Familie als Lebensgemeinschaft
Wie das Trauerjahr befindet sich auch die Familie als Lebensgemeinschaft auf dem Rückzug. Lebten vor 50 oder 100 Jahren in der Regel noch mehrere Generationen unter einem Dach, so ist das heute eher eine Seltenheit. Diese Familiengemeinschaft bildete oft einen Schutzraum gegen die Unbilden des Lebens und unterstützte in Notzeiten. Gerade auch bei einem Trauerfall konnten Familienmitglieder abgeschirmt werden gegenüber der Außenwelt.
Für das Verschwinden von Mehrgenerationsfamilien unter einem Dach gibt es verschiedene Gründe. Zum einen ist nicht jeder Familienverband eine Wohltat für alle Beteiligten. Zum anderen erfordert heute oft der Beruf eine örtliche Flexibilität, die es früher so nicht oder nicht in diesem Maße gab. Menschen ziehen der Arbeit hinterher. Daneben spielen auch die Wünsche nach persönlicher Lebensgestaltung eine große Rolle. Nicht jeder möchte in dem Dorf, in dem er aufgewachsen ist, den Rest seines Lebens verbringen.
Mit dem Auseinanderreißen dieser Lebensgemeinschaft geht aber auch der Verlust von Unterstützung im Trauerfall einher. Kinder und Eltern wohnen oft weit voneinander entfernt. Sie können nicht „mal schnell“ vorbeikommen und nach dem Rechten sehen. Jeder von ihnen muss mit seiner Trauer und Einsamkeit nach dem Verlust allein fertigwerden. Telefon oder soziale Medien können zwar abmildern, aber eine Umarmung oder ein einfach mal vorbeigebrachtes Essen nicht ersetzen.
Für manch einen Trauernden wird so ein Haustier zur Ersatz-Familie. Ein Hund oder eine Katze sind immer da, geben Wärme und Geborgenheit. Man kann sich in ihrem weichen Fell vergraben, Trost finden. Sie erwarten nicht viel, wollen nicht reden, geben keine Ratschläge. Sie können helfen, den Schmerz zumindest ein bisschen zu lindern.
Die Nachbarschaft
In einigen Dörfern findet man sie manchmal heute noch: die Dorfgemeinschaft. Man kennt sich seit Generationen, es gibt kaum Geheimnisse, alles wird gesehen und beobachtet. Und vergessen wird schon mal gar nichts. Diese Gemeinschaft kann belastend, weil kontrollierend sein. Gerade im Trauerfall kann sie jedoch auch ein Schutzraum sein, der Unterstützung bietet.
Stirbt jemand im Dorf, kommen die Nachbarn ins Haus, nehmen Abschied vom Verstorbenen, bringen vielleicht Essen mit, bieten Unterstützung an. Hände werden gehalten, Taschentücher gereicht. Niemand erwartet, dass die Hinterbliebenen alles allein bewältigen. Sie können außerdem auf ein Netzwerk für die Organisation von Beerdigung und Trauerfeier zurückgreifen sowie für die Zeit danach.
Heute ist es jedoch vielfach so, dass wir nicht einmal unsere Nachbarn kennen. Wir leben unser Leben, sie ihres für sich. Vielleicht grüßt man sich noch im Treppenhaus oder im Garten, aber nähere Beziehungen werden gerade in Großstädten nicht geknüpft. Das ist schade, denn so wird es im Trauerfall schwieriger, auf ein Unterstützernetzwerk außerhalb von Freunden und Familie zurückzugreifen. Oft wissen die Nachbarn nicht einmal, dass nebenan ein Trauerfall eingetreten ist. Wie sollen sie dann Rücksicht nehmen?
Und doch gibt es mancherorts auch positive Entwicklungen. Hausgemeinschaften finden sich neu, werden zu Lebensgemeinschaften, feiern zusammen, unterstützen sich gegenseitig. Im Trauerfall steht dann ein neues „Wahlnetzwerk“ an der Seite der Hinterbliebenen, um sie durch die Trauer zu begleiten.
Der Glaube an eine höhere Macht
Im Todesfall oder einem anderen schweren Umbruch im Leben kann der Glaube an eine höhere Macht ein Anker sein. Schon allein die Vorstellung, dass ein Verstorbener nicht einfach „verschwunden“, sondern jetzt im Himmel ist, kann tröstlich wirken. Auch die Vorstellung, dass alles Gottes Plan war, auch wenn wir ihn nicht verstehen, kann Hinterbliebene bei der Trauerbewältigung unterstützen.
Doch so, wie der Glaube aus den unterschiedlichsten Gründen immer mehr aus dem Alltag verschwindet, so schwindet auch der damit verbundene Schutzraum. Gerade ein plötzlicher oder sehr langwieriger, schmerzhafter Tod erscheinen dann willkürlich, ohne jeden Sinn. „Womit hat er/sie das verdient, jetzt schon bzw. so zu sterben?“, ist eine Frage, die Hinterbliebene dann oft umtreibt. Trost scheint es hier nicht zu geben.
Andere wiederum zweifeln nach einem schweren Verlust an ihrem bis dato noch vorhandenen Glauben an das fürsorgliche Wirken einer höheren Macht. Sie bekommen den Eindruck, der Himmel sei leer, denn sonst wäre das alles ja nicht passiert. Auch sie verlieren den Schutzraum, den der Glaube ihnen bislang geboten hat. Das Vertrauen in das Leben ist weg. Zurück bleiben stattdessen Einsamkeit, Wut und Leere.
Diese Leere wieder zu füllen und das verlorene Vertrauen ins Leben wiederzufinden, ist für Hinterbliebene oft eine Lebensaufgabe. Jeder geht dabei unterschiedliche Wege – mit Glauben oder auch ohne. Die Pflege von guten Erinnerungen, ein Gedenkort, nette Menschen und viel Geduld mit dir selbst können dich dabei unterstützen. Damit das, was du verloren hast, trotzdem einen guten Platz in deinem Leben behält.
Achte auf dich.
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