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  • AutorenbildAntje Przyborowski

"Du warst bei mir"

Ein Kind zu verlieren, egal zu welchem Zeitpunkt, ist schlimm. Doch, während die Trauer von Eltern um geborene Kinder, die früh versterben, heute in der Regel gesehen und akzeptiert wird, ist das beim Verlust ungeborener Kinder oftmals noch nicht der Fall. Für Nichtbetroffene sind diese Kinder nicht real, nicht (be-)greifbar. Doch für ihre Eltern ist das völlig anders. Sie waren Babys im Bauch ihrer Mütter. Sie waren miteinander verbunden.


Auf dem Friedhof in Oberfrohna findet sich ein Gedenkstein für Ungeborene mit der Inschrift „Du warst bei mir“. Dieser Gedenkstein steht für alle Ungeborenen, egal aus welchem Grund sie nicht auf der Welt sind. Das schließt auch Kinder ein, deren Mütter sich für eine Abtreibung entschieden. Vielleicht meinst du, dass das nicht nötig ist? Schließlich haben sich diese Mütter gegen ihr Kind entschieden. Doch auch diese Mütter trauern oft um diese Kinder, auch wenn sie ihre Entscheidung nach wie vor richtig finden.


Eine Schwangerschaft schafft immer eine Verbindung zwischen Mutter und Kind – egal ob gewollt oder ungewollt. Der Abbruch dieser Verbindung ist – egal wie die Umstände waren – mit einem Verlustgefühl verbunden. Dieses Gefühl benötigt Raum; Raum oder einen Ort, wie ihn zum Beispiel ein solcher Gedenkstein geben kann. Auch, um dich zu versichern, dass da etwas war, was zu deinem Leben gehört.




Wer ist Mutter?


Das Muttersein wird von unseren Mitmenschen regelmäßig als Zustand definiert: Ich habe (jetzt) ein Kind oder mehrere, also bin ich Mutter. Das Muttersein wird damit davon abhängig gemacht, dass deine Kinder leben. Mit dieser Definition wird aber Müttern von Sternenkindern das Muttersein abgesprochen. Denn sie können (jetzt) kein Kind physisch vorweisen. Das führt dazu, dass auch die Existenz des Kindes als solches verneint wird. Du hast kein Kind, also bist du auch keine Mutter.


Dabei hat dein Kind in dir gelebt, wenn auch vielleicht nur für eine sehr kurze Zeit. Ihr wart miteinander verbunden – durch die Nabelschnur. Vielleicht hattest du sogar schon einen Mutterpass. Es gab einen errechneten Geburtstermin. Auch hast du dein Kind geboren, wenn auch weit vor der gewünschten Zeit. All das macht dich genauso zur Mutter wie die Frauen, die lebende Kinder haben.


Dieses Bild vom Muttersein ändert sich erst nach und nach, auch und gerade durch die Aktivitäten von Sternenkindervereinen. So ist es zum Beispiel heute möglich, auch Sternenkinder unter 500 g beerdigen zu lassen, so dass Sterneneltern ein Grab und damit einen Ort zum Trauern haben. In vielen Städten gibt es mittlerweile regelmäßige Gedenkveranstaltungen auf Friedhöfen für Sternenkinder.



Lass uns tauschen


Sterneneltern haben es jedoch trotz all dieser Veränderungen nach wie vor schwer. Nicht nur tragen sie ihren Verlust, der von Außenstehenden oft nicht gesehen wird („Es war ja noch nichts da.“, „Wer weiß, wozu es gut war.“). Sie bekommen noch dazu mit, wie sich andere Mütter und Väter über ihre Kinder aufregen: über den durch sie verursachten Schlafmangel nach der Geburt, die unordentlichen Zimmer oder die Wäscheberge. Durch diese Klagen von anderen Müttern und Vätern wird ihnen immer wieder bewusst, was sie nicht haben, was ihnen fehlt. Ganz zu schweigen von den schönen Momenten, die es auch im Leben von Eltern gibt.


Viele Sterneneltern würden gern mit den gestressten Eltern tauschen und ihnen zurufen: Lieber würde ich das ertragen, als nichts zu haben. Ich werde nie mein Kind ausschimpfen können, weil es das Spielzeug wieder liegen gelassen hat und ich darüber stolperte. Ich werde mich nie über seine schlechten Noten in der Schule ärgern können oder über seine schlammverkrusteten Hosen nach einem Tag im Wald. Sie würden gern tauschen. Lieber ein freches, lautes, dreckiges Kind als gar keines.


Ganz schlimm ist es, wenn du dann vielleicht noch zu hören bekommst, dass du doch froh sein könntest, kein Kind zu haben, weil du deshalb jetzt ... Ausschlafen kannst ... nicht ständig Wäscheberge bewältigen musst ... abends einfach mal fortgehen kannst ... keine Geldsorgen hast, weil die Kinder ständig neue Sachen brauchen ... Doch für Sterneneltern ist das kein Trost, es zeigt ihnen nur, dass sie mit ihren Gefühlen nicht verstanden werden.



Der Grund für den Verlust ist egal


Dabei ist es völlig egal, warum dein Kind nicht geboren wurde. Für die Intensität deiner Trauer spielt es oft keine Rolle, ob du eine Fehlgeburt erlitten hast oder ob du die Schwangerschaft – aus welchen Gründen auch immer – abgebrochen hast. Trauer ist ein Gefühl, welches mit rationalen Entscheidungen für oder gegen ein Kind nichts zu tun hat.


Gerade den Müttern, die ihre Kinder abgetrieben haben, wird diese Trauer oft verweigert. Schließlich „wollten sie es ja so“. So kommen zu diesem Verlust noch Scham- und Schuldgefühle: Du darfst nicht trauern um dein Kind, denn schließlich du bist selbst schuld daran, dass es nicht lebt. Also wird darüber geschwiegen. Die Mütter tragen ihre Trauer allein und versteckt für sich. Dabei machen sich Schwangere diese Entscheidung gegen das Kind in der Regel nicht leicht. Im Gegenteil: oft wird das Für und Wider lange abgewogen.


Nach meiner Erfahrung sind gerade auch diese Kinder später in den Gedanken ihrer Mütter noch präsent. Selbst wenn sie zwischenzeitlich andere Kinder geboren haben, ist da doch eine Lücke: Ein Kind, was nicht geboren wurde, aber doch irgendwie zur Familie gehört. Auch wenn es nicht lebt, ist es gerade für die Mütter nicht dasselbe, als wenn sie nie schwanger gewesen wären. Die Verbundenheit war da, egal was danach passierte.


Und dann gibt es noch die Kinder, die nur in deinen Gedanken lebten: Embryonen, die nach einer künstlichen Befruchtung eingesetzt wurden, aber sich nicht einnisteten; Eizellen, die nicht befruchtet wurden. Auch diese Kinder wurden nicht geboren. Doch für viele potenzielle Eltern, insbesondere für ihre Mütter, lebten sie bereits. Sie sahen sich mit ihnen beim Stillen, auf dem Spielplatz oder zur Einschulung. Auch diese Kinder dürfen betrauert werden.



Orte zum Trauern


Für all diese ungeborenen Kinder benötigt es Orte zum Trauern, um den mit diesem Verlust einhergehenden Gefühlen einen Platz zu geben. Diese Orte können öffentlich sein, wie der oben angesprochene Gedenkstein für Ungeborene auf dem Friedhof in Oberfrohna. Aber auch ein Gedenkort zu Hause oder im eigenen Garten ist möglich. Es sind Orte, die dir den Raum für deine Trauer geben, Orte, wo du an dein Kind denken kannst oder deine Trauer lassen kannst.


Ich möchte dich deshalb einladen zu schauen, wo für dich ein solcher Ort sein könnte. Was braucht es für dich, um deiner Trauer Raum zu geben? Vielleicht möchtest du deinem/n ungeborenen Kind/ern einen Namen geben. Vielleicht einen Baum oder einen Strauch für sie pflanzen. Wo kannst du dich deinem Kind nahefühlen? Das muss kein Friedhof sein. Hauptsache es fühlt sich stimmig für dich an.


Diese Orte dürfen sich im Verlauf der Zeit auch verändern. Du kannst – wie bei einem Grab – Dinge hinzufügen oder wegnehmen. Manchmal kommt auch der Zeitpunkt, wo du merkst, dass es dieses festen Ortes nicht mehr bedarf, weil du jetzt auf eine andere Weise mit deinem Kind verbunden bist, weil du eine neue Verbindung zwischen euch geschaffen hast. Die dich dann weiterträgt. Ich wünsche dir alles Gute dabei.


Achte auf dich.

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