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  • AutorenbildAntje Przyborowski

Nichts, was geschieht, geschieht ohne Grund?

„Nichts, was geschieht, geschieht ohne Grund!“ Hast du diesen Satz auch schon mal von wohlmeinenden Zeitgenossen gehört? Immer wieder finden sich Menschen, die in deinen Verlusten das Schicksal oder das Wirken einer höheren Macht erkennen wollen. Beim Tod eines geliebten Menschens wird manchmal gar unterstellt, er habe sich sein Schicksal als Prüfung selbst ausgesucht.


Diese Sichtweise ist für Trauernde nur sehr schwer auszuhalten und noch weniger nachvollziehbar. Jeder schwere Verlust ist tragisch. Regelmäßig findet sich kein Sinn dahinter. Unfälle, Zufälle oder andere schwere Schicksalsschläge – sie geschehen einfach. Sie zeigen uns auf, dass unser Leben an vielen Stellen nicht kontrollierbar ist. Diese Nicht-Kontrolle auszuhalten ist für viele sehr schwer. Vielleicht versuchen sie auch deshalb, einen Sinn in dem Geschehenen zu finden.


Doch was immer auch die Intension der Menschen ist, die diesen Satz zu dir sagen: Hilfreich ist er auf keinen Fall. Im Gegenteil, denn er unterstellt, dass entweder deine Trauer nicht angebracht ist (Der Verstorbene hat es ja so gewollt) oder du selbst diesen Verlust brauchtest, um dein wahres Leben zu finden. Das ist nicht tröstlich, sondern würdigt deinen Verlust nur herab. Deshalb wünsche ich dir, dass du diesen Satz bei denjenigen lassen kannst, die ihn dir sagen. Wahrscheinlich brauchen sie ihn mehr als du.




Verluste geschehen


Immer wieder wird unser Leben von bestimmten Ereignissen erschüttert. Manche sind so schlimm, dass wir in tiefe Trauer fallen. Menschen, die uns nahestehen, verunglücken auf der Straße, geraten in eine Messerstecherei oder Schießerei, stürzen unglücklich, sterben an Krebs oder einer anderen schweren Krankheit.


Immer wieder treffen wir dann auch auf Menschen, die in dem Geschehen einen Sinn sehen wollen. Der eingangs genannte Satz ist für mich ein Klassiker: „Nichts ,was geschieht, geschieht ohne Grund!“ Oder: „Du wirst erst später verstehen, warum das passieren musste.“ Oder auch: „(Der Verstorbene) hat das so entschieden, weil er eine neue Erfahrung machen wollte.“ Ich finde alle diese Sätze furchtbar.


Natürlich gibt es einen Grund dafür, warum du einen Menschen verloren hast: eine heimtückische Krankheit, einen Unfall oder auch einen unglücklichen Zufall. Doch das, was diese Sätze so schwer macht, ist, dass sie implizieren, dass dein Verlust etwas Gutes hat (was du nur noch nicht erkennen kannst) oder so gewollt war. Doch was soll daran gut oder gewollt sein? Wenn etwas Gutes daran wäre, hätte dich dein Verlust ja nicht so aus der Bahn geworfen.



Suche nach Sinnhaftigkeit in einer Welt voller Ereignisse ohne Sinn


Natürlich wollen diejenigen, die dir diese Sätze sagen, nicht wirklich etwas Böses. Vielmehr möchten sie häufig trösten und hoffen, dass es dir hilft, wenn du eine andere Perspektive auf das Geschehen einnehmen kannst. Außerdem ist es einfacher zu glauben, dass alles was geschieht, einen Sinn hat oder vom Schicksal bzw. einer höheren Macht so geplant war.


Denn die Alternative wäre es anzuerkennen, dass viele Ereignisse in der Welt und in unserem Leben überhaupt keinen Sinn haben: der Tod eines Menschen im Krieg oder bei einem Amoklauf, ein schwerer Busunfall auf der Autobahn oder der Absturz eines Flugzeugs. Auch wenn vielleicht die Ursachen, die dazu geführt haben, irgendwann aufgeklärt werden können, macht das Geschehene noch lange keinen Sinn.


Dass es für bestimmte Ereignisse keinen Sinn gibt, wir ihnen stattdessen hilflos ausgeliefert sind, zeigt uns unsere Ohnmacht ihnen gegenüber auf. Das ist furchtbar für uns. Wir werden zum Spielball unserer Umwelt. Wir können nichts tun. Da ist es tatsächlich einfacher, den Willen einer höheren Macht, des Schicksals oder gar den Wunsch des Verstorbenen nach dem Durchmachen dieser Erfahrung dahinter zu vermuten. Denn dieses Denken gibt uns wieder die Kontrolle über unser Leben zurück. Außerdem schenkt sie Hoffnung, das alles irgendwann besser wird.



Opfer-Täter-Umkehr


Was diese Sätze aus meiner Sicht auch hochproblematisch macht, ist die Opfer-Täter-Umkehr. Wir geben dann schnell dem Opfer die Schuld an dem, was geschehen ist. Warum ist sie denn in den Urlaub geflogen? Sie hätte auch hier bleiben können, dann wäre nichts geschehen. Oder: Wäre er nicht an jenem Platz gewesen, wäre er nicht in den Amoklauf geraten, aber er wollte ja unbedingt da hin.


Einem Täter – so es einen gibt - wird dagegen die Verantwortung abgenommen, denn er konnte ja nichts dafür, das war eben Schicksal. Er musste dieses oder jenes tun, damit sich das Vorgeplante erfüllt. Oder er wollte diese Erfahrung auf sich nehmen, das hatte er sich für dieses Leben vorgenommen.


Auch negieren diese Sätze unsere eigene Verantwortlichkeit für unser Leben. Wenn alles vorherbestimmt ist, warum sollten wir dann selbst etwas an unserem Leben ändern wollen. Wir können ja nichts dafür, das muss und musste alles so sein. Doch wir Menschen sind keine Marionetten. Wir können viele Dinge selbst bestimmen.



Zufälle bestimmen immer wieder unser Leben


Daneben ist unsere Welt voller Zufälle. Manchmal wirken sie sich zu unserem Guten aus. Wir treffen den Partner fürs Leben. Wir bewerben uns zufällig um den richtigen Job. Wir lernen tolle Leute im Urlaub kennen. Wir treffen Menschen, die uns fördern. Wir finden durch Zufall genau das richtige Grundstück. Oder es verschlägt uns in die Stadt, die unserem Naturell am meisten entgegenkommt.


Diese positiven Zufälle nehmen wir gern an, auch als „Zufall“. Mit den schlechten Zufällen sieht es da anders aus. Denen möchten wir, um unsere Handlungsfähigkeit zu behalten, gern eine Sinnhaftigkeit geben. Doch auch sie können uns einfach treffen. Ohne Grund. Ohne Verschulden. Ohne schlechtes Karma oder mieses Schicksal.


Deshalb musst du auch keinen Sinn in deinem schweren Verlust sehen. Egal, ob es der Tod deines Partners, deines Kindes oder ein anderes schlimmes Ereignis ist. Nichts davon muss für dich Sinn machen. Du hattest nicht um diese Erfahrung gebeten. Natürlich wird sich dein Leben durch deinen Verlust ändern. Und vielleicht entsteht daraus etwas Neues, über das du dich später auch freuen kannst. Aber auf die Situation, die dazu geführt hat, hättest du wahrscheinlich gern verzichtet.


Achte auf dich.


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