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  • AutorenbildAntje Przyborowski

Rituale und Struktur können dir beim Trauern helfen

Aktualisiert: 2. Aug. 2022

Trauern ist in der Regel das Gegenteil von Struktur. Sie kommt unangemeldet, unvorhersehbar, plötzlich. Vertrautes bricht weg. Ein Mensch, den du liebtest, ist verstorben. Oder hat dich verlassen. Du hast deine Arbeit verloren und weißt nicht, wie es weitergeht. Oder dein Haus wurde durch eine Naturkatastrophe zerstört. Du hast vielleicht den Eindruck, dass dein Leben völlig aus den Fugen geraten ist. Nichts ist mehr so, wie es war. Nichts ist da, an dem du dich festhalten kannst.


In dieser schweren Zeit können dir Rituale und Struktur helfen. In ihnen kannst du den Halt finden, den du brauchst, um weiterzumachen. Das können kleine Dinge sein, wie regelmäßige Mahlzeiten oder ein täglicher Spaziergang. Schritt für Schritt helfen sie dir dabei, wieder handlungsfähig zu werden. Sie geben dir Sicherheit und bilden das Netz für dein weiteres Leben.


Vielleicht klingt das jetzt für dich banal, aber ich möchte dich einladen, es auszuprobieren. Bereits unsere Vorfahren wussten um die stabilisierende Wirkung von Ritualen und Struktur in schwierigen Zeiten.




Mit einem Verlust bricht Vertrautes weg


Wir bauen in unserem Leben darauf, das viele Ereignisse vorhersehbar sind. Wir planen Tage, Wochen, Monate, Jahre. Wir planen unsere Karriere, wie und wo wir den nächsten Urlaub verbringen werden, Familienfeiern, Arbeitstage. Der eine mehr, der andere weniger. Diese Vorhersehbarkeit, die mit der Planung einhergeht, gibt uns die Sicherheit, dass wir unser Leben selbst gestalten können. Dass wir die Kontrolle behalten. Dass uns nichts Schlimmes passieren kann.


Doch dann trifft dich unerwartet ein Verlust. Das kann der Tod deines langjährigen Partners sein. Oder auch der Verlust deines Arbeitsplatzes. Auf einmal ist für dich vieles nicht mehr so wie bisher. Vieles, was bisher fest mit dir und deinem Leben verbunden war, ist auf einmal weg. Vielleicht ist es das gemeinsame Frühstück jeden Morgen mit deinem Partner. Oder der gemeinsame sonntägliche Spaziergang mit einer guten Freundin. Auch wenn du weiterhin jeden Morgen frühstückst oder sonntags spazieren gehst, wird es nicht mehr dasselbe sein wie zuvor.


Dieser unerwartete Verlust nimmt dir das Vertraute, das, worauf du immer gebaut hast, auf das du dich verlassen konntest. In solchen Momenten kann es passieren, dass du dich plötzlich hilflos und ohnmächtig fühlst. Niemand hat dich gefragt, ob du mit diesen Veränderungen denn einverstanden bist. Ob du willst, dass dein Leben einfach auf den Kopf gestellt wird. Du stehst daneben. Da kann leicht der Eindruck entstehen, dass du dem Schicksal ausgeliefert bist. Nichts mehr tun kannst. Nur noch erdulden musst.


Plötzlich vergisst du zu essen, weil du sowieso keinen Hunger hast. Oder du gehst nicht mehr spazieren, weil es allein keinen Sinn macht. Oder – wenn du deinen Job verloren hast – stehst du früh nicht mehr auf, weil es keinen Grund dafür gibt. Die Struktur, die dein Leben bisher bestimmt hat, löst sich weiter auf. Zurück bleibt eine tiefe Verunsicherung, die die Trauer weiter verstärkt.



Struktur gibt Sicherheit


Umso wichtiger ist es, dass du trotz der widrigen Umstände deinem Leben wieder Struktur gibst bzw. die noch vorhandene Struktur erhältst. Struktur schafft Sicherheit. Ereignisse werden vorhersehbar. Du wirst wieder handlungsfähig. Das ändert nichts an deinem Verlust, aber du kannst so wieder Halt im Leben finden.


Bereits unsere Vorfahren wussten, wie wichtig Struktur in ihrem Alltag war. Sie durchlebten Krieg, Hunger, schwere Krankheiten. Ihr Leben war – im Gegensatz zu unserem - sehr stark strukturiert und durch feste Rituale geprägt. So wurde in vielen Familien immer mittags um 12 Uhr und abends um 18 Uhr gegessen. Samstags wurde immer gebadet. Sonntags ging es immer in die Kirche. Der Gottesdienst lief nach immer dem gleichen Schema ab. Im Anschluss an den Kirchgang gab es immer den Frühschoppen, danach zu Hause immer den Sonntagsbraten.


All diese kleinen Rituale gaben unseren Urgroßeltern, Großeltern und Eltern Halt in unruhigen Zeiten. Sie verschafften ihnen Handlungsfähigkeit, während sie den äußeren Ereignissen oft nichts entgegenzusetzen hatten, weil sie sie nicht beeinflussen konnten. Uns erscheinen diese Rituale vielleicht oft als starr und überholt, für sie jedoch waren sie Garant für ihr seelisches Überleben.


Auch dir kann es helfen, wenn du in deiner Trauer Struktur und Rituale in dein Leben zurückbringst. Indem du zum Beispiel immer zur selben Zeit frühstückst, zu Mittag und zu Abend isst, wird dein Tag unabhängig von äußeren Ereignissen für dich wieder vorhersehbar. Auch wenn du vielleicht nur einen kleinen Bissen herunterbringst, bilden diese Mahlzeiten einen festen Bezugspunkt in deinem veränderten Leben. Sie schaffen einen Rahmen für dein Leben nach dem Verlust, an dem du dich festhalten kannst.



Ausgangspunkt für das Leben danach


Diese neu gewonnene Sicherheit kann zum Ausgangspunkt für dein Leben mit dem Verlust werden. Schau, welche Rituale und festen Bezugspunkte du aus deinem bisherigen Leben beibehalten kannst. Das bedeutet nicht, dass es immer und ewig so sein muss. Aber jetzt kann es hilfreich sein, so viel wie möglich Vertrautes in deinem Leben zu behalten. Neben den oben genannten regelmäßigen Mahlzeiten können das auch die gleichen Aufstehzeiten wie vorher sein. Oder der weitere Besuch kultureller und sportlicher Veranstaltungen.


Struktur kann dir beim Tod eines lieben Menschen auch dein Arbeitsplatz geben. Vielleicht hast du früher gestöhnt, wenn du frühmorgens zur Arbeit musstest. Jetzt ist es etwas, dass dir Halt geben kann. Wo Vertrautes ist. Ein Teil deines Lebens, der unverändert geblieben ist. Vielleicht sind dort auch liebe Kolleginnen und Kollegen, die in deiner Trauer für dich da sein können.


Natürlich kannst du auch neue Rituale in deinen Alltag einbauen, wenn du spürst, dass sie dir gut tun. Eine regelmäßige Runde auf dem Fahrrad. Ein wöchentlicher Saunabesuch. Oder auch der tägliche Gang auf den Friedhof oder in einen Park. Vielleicht möchtest du dir eine regelmäßige Zeit zum Innehalten schaffen. Oder du stellst dir jeden Abend eine Kerze auf den Tisch.


Probiere aus, was dir jetzt Kraft und Halt gibt. Die Rituale, die du in deinen Alltag einbaust, müssen nicht groß sein. Oftmals sind es die kleinen Dinge, die uns Schritt für Schritt ins Leben zurückführen. Erwarte am Anfang nicht zu viel. Trauer verschwindet nicht einfach über Nacht. Der Schmerz löst sich nicht per Knopfdruck auf. Lass dir Zeit. Ein Weg von 1000 Kilometer beginnt mit dem ersten Schritt. Möge er auch noch so klein sein.


Achte auf dich.

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