Jede Kultur hat ihre Trauerkonventionen. Es gibt Farben, die für den Tod stehen, bei uns zum Beispiel schwarz. Oder auch Rituale, wie eine Trauerfeier oder Beerdigung abläuft. Diese oftmals ungeschriebenen Regeln können für dich hilfreich sein, wenn du einen schweren Verlust erlitten hast. Sie geben dir einen Rahmen vor, an dem du dich orientieren kannst, ohne dir den Kopf zu zerbrechen, ob du alles richtig machst.
Diese Regeln können aber für dich auch sehr hinderlich sein. Wenn du oder der Mensch, um den du trauerst, die Farbe schwarz nicht mochte und du sie deshalb nicht trägst, reagiert dein Umfeld wahrscheinlich mit Unverständnis. Oder wenn du aus der Trauerfeier eine Lebensfeier machen möchtest, weil diese viel besser zum Verstorbenen passt. Da kann es schon mal passieren, dass dir unterstellt wird, nicht oder „nicht richtig“ zu trauern.
Ich möchte dich ermutigen, zu deiner Art des Trauerns zu stehen. Denn es ist und bleibt deine Trauer. Niemand Außenstehendes kann wirklich beurteilen, wie es in dir aussieht. Schon gar nicht kann das Ausmaß deiner Trauer an Äußerlichkeiten festgemacht werden. Deshalb wünsche ich dir, dass du bei dir bleibst und so trauerst, wie du es für richtig hältst. Dann darf deine Trauer auch bunt sein.
So „hat“ Trauer auszusehen
Trauerkonventionen gibt es in allen Gegenden der Welt, Regeln, wie zu trauern ist. Sie stehen oftmals nirgendwo geschrieben, sondern haben sich im Verlauf der Jahre und Jahrhunderte entwickelt. Dein Umfeld erwartet natürlich von dir, dass du dich daran hältst. Wenn nicht, kann es schon mal den einen oder anderen schrägen Blick von Freunden, Verwandten oder Nachbarn geben.
Zum Beispiel ist in unserer Kultur die Farbe der Trauer schwarz: Die Hinterbliebenen tragen schwarze Kleidung, die Witwen am besten ein ganzes Jahr. Trauerkarten sind schwarz. Zu Beerdigungen wird schwarz getragen. Der Trauerredner trägt eine schwarzen Anzug. Usw. Zur Trauer gehören Stille und Rückzug. Witwen bzw. Witwer sollten erst nach Ablauf eines Trauerjahres wieder heiraten.
In anderen Ländern wird ganz anders getrauert. In Mexiko zum Beispiel ist das Totenreich bunt. Dort wird jährlich an Allerheiligen, dem 1. November, der Dia de los Muertos - der Tag der Toten – gefeiert. Die Mexikaner glauben, dass an diesem Tag die Toten auf die Erde zurückkehren, um ihre Angehörigen zu besuchen. Gemeinsam wird zum Beispiel auf dem Friedhof gegessen und getrunken. Dabei werden nicht nur die Verstorbenen, sondern auch das Leben an sich gefeiert.
In einigen Ländern, wie zum Beispiel Tibet oder einigen Gegenden von Indien, gibt es Himmelsbestattungen, in denen die Toten von Geiern gefressen werden, um sie in den Himmel zu tragen. Auf einer indonesischen Insel werden die Toten erst Jahre nach ihrem Ableben beerdigt. Bis dahin leben die Angehörigen weiter mit den mumifizierten Leichen.
Sinn und Zweck von Trauerritualen und Trauerkonventionen
Trauerrituale und -konventionen sollen den Angehörigen helfen, von den Verstorbenen Abschied zu nehmen. Sie geben einen Rahmen vor, an dem du dich orientieren kannst. Gerade, wenn du noch unter Schock stehst, weil ein lieber Mensch plötzlich verstorben ist, kann das sehr hilfreich sein. Die bestehenden Rituale können dich durch diese schwere Zeit leiten, in denen du nicht viel Kraft hast.
Für unseren Kulturkreis heißt das, dass du dir über deine Kleidung keine Gedanken machen musst: Schwarz passt immer. Du musst auch nicht gesellig sein, sondern kannst dich zurückziehen und dir zumindest eine gewisse Zeit nehmen, um für dich zu trauern, ohne dass du dich jemandem erklären musst. Niemand wird in dieser Zeit von dir erwarten, dass du fröhlich bist oder auf Partys gehst.
Stattdessen kannst du meist auf Zuwendung und Mitgefühl von deinen Mitmenschen zählen. Angehörige, Freunde, Nachbarn oder auch Dienstleister wie Bestatter werden dich auf deinem Weg unterstützen. Sie sind bereit, dir Wege abzunehmen oder mit dir gemeinsam zu gehen, wenn sie für dich allein zu schwer sind oder du noch völlig neben dir stehst.
Voraussetzung für diese Unterstützung ist jedoch oftmals, dass du dich an die Trauerkonventionen hältst. Wenn du schwarz trägst, wird jeder, der um deinen Verlust weiß, in dir die Trauernde erkennen. Wenn du nicht auf Geburtstagsfeiern gehst, wird das ohne großes Nachfragen akzeptiert werden. Wenn dir nicht nach Lachen zu Mute ist, wird niemand damit ein Problem haben.
Wenn dieses Korsett zu eng ist
Wenn du dich jedoch nicht an diese Konventionen hältst, sieht es manchmal ganz anders aus. Wenn du zum Beispiel andere Farben als schwarz trägst. Oder das Bedürfnis hast, mal wieder auszugehen. Dann kann es passieren, dass dir von Angehörigen, Bekannten oder Nachbarn unterstellt wird, dass du nicht angemessen trauerst. Weil sie eine bestimmte Vorstellung davon haben, wie deine Trauer auszusehen hat.
Doch nicht für jeden Menschen passen diese Trauerkonventionen. Dafür kann es viele Gründe geben. Vielleicht mochten weder du noch der Verstorbene die Farbe schwarz. Vielleicht hast du auch gar nichts Schwarzes und im Moment nicht die Kraft oder Zeit dafür, dich neu einzukleiden. Vielleicht erfüllst du auch den letzten Wunsch des Verstorbenen, in dem du eine Lebensfeier für ihn ausrichtest, auf der alles bunt sein soll so wie sein Leben.
Eine anderer Grund kann auch sein, dass du den Verstorbenen viele Jahre gepflegt hast. Dann bist jetzt – neben deiner Trauer – womöglich auch froh, mal wieder rauszukommen und Spaß zu haben. Denn du hast erlebt, wie unberechenbar das Leben ist. Durch eine schwere Krankheit können sich die Lebensumstände schnell ändern können. Das Leben kann sich als viel zu kurz herausstellen.
Aber auch, wenn du länger als „normal“ trauerst, kann dir Unverständnis begegnen. Dann kann es schon mal heißen, dass es jetzt aber wieder gut sein muss mit der Trauer. Schließlich ist der Todesfall ja schon so lange her. Doch was heißt lange? Gerade bei Verlusten ist Zeit relativ. Ein Jahr kann nichts sein oder sehr viel.
Deine Trauer ist und bleibt deine Trauer
Wenn du versuchst, es allen Außenstehenden recht zu machen, in dem du dich ihren Erwartungen fügst, kann das für dich jetzt eine zusätzliche Belastung sein. Dabei bist du durch deinen Verlust schon genug belastet. Sei dir bewusst, dass kein anderer Mensch genau weiß, wie es in dir aussieht. Niemand kann deine Trauer wirklich beurteilen. Letztendlich sind Trauerrituale nur Äußerlichkeiten, die nichts über die Intensität deiner Trauer aussagen.
Ich möchte dich deshalb ermutigen, zu deiner Art des Trauerns zu stehen. Sieh die Trauerkonventionen als Möglichkeiten an, die dir beim Abschiednehmen und durch die Trauer helfen können. Wenn dir nicht hilfreich erscheinen, dann lass sie weg oder suche dir Rituale, die sich für dich besser anfühlen. Denn es geht hier einzig und allein um deine Trauer. Nicht um die deiner Mitmenschen.
Wenn deine Trauer eher bunt ist oder weiß oder was auch immer, dann ist das so. Sie wird nicht anders, nur weil deine Mitmenschen etwas anderes für richtig halten. Deine Trauer muss für dich tragbar sein, nicht für die anderen. Achte deshalb auf dich und deine aktuellen Bedürfnisse. Räume ihnen Vorrang von den Bedürfnissen anderer Menschen ein, die nicht von deiner Trauer betroffen sind, sondern sich nur daran orientieren, wie es schon „immer war“.
Achte auf dich.
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