Wenn du einen geliebten Menschen verlierst, stellen sich oft Einsamkeit und Leere ein. Der Platz in deinem Leben und deinem Herzen, der gerade noch besetzt war, ist plötzlich verwaist. Es klafft eine gewaltige Lücke, die nicht zu schließen ist. Dir diese Leerstelle bewusst zu machen, ist Teil des Trauerprozesses. Zu akzeptieren, dass sie da ist und schmerzt.
Diese Leerstelle stellt auch dich selbst in Frage. Wer bist du ohne ... deinen Partner, dein Kind, deine Mutter oder deinen Vater? Bist du noch eine Mutter, wenn du dein Kind verloren hast? Was macht dein Leben aus, wenn du es nicht mehr mit deinem Partner teilen kannst? Bei wem kannst du noch Kind sein oder dir Rat und Hilfe holen, wenn deine Eltern dir nicht mehr zur Seite stehen?
Diese Frage kannst du nur für dich selbst beantworten. Lass dir dafür die Zeit, die du brauchst, auch wenn es Jahre dauert. Vielleicht macht es dir Angst, dich damit auseinander zu setzen. Das ist verständlich, ist doch vieles in deinem Leben nicht mehr so wie vorher. Wenn du den Eindruck hast, das es allein für dich zu schwer ist, kannst du dir auch Unterstützung holen.
Dein Leben ist auf den Kopf gestellt
Der Tod eines geliebten Menschen hat dein Leben auf den Kopf gestellt. Wie ein Puzzlestück wurde er aus deinem Leben gerissen. Egal, wie du es anstellst, er fehlt an allen Ecken und Enden. Vielleicht kommst du abends von der Arbeit nach Hause und hast ihm sonst immer erzählt, was passiert ist. Doch jetzt ist deine Wohnung leer. Natürlich könntest du – so du hast – auch eine liebe Freundin anrufen, aber das ist nicht dasselbe.
Gerade die Einsamkeit ist für viele Trauernde sehr schwer auszuhalten. Das Lachen des Anderen fehlt, seine Stimme, sein Geruch. Und das Miteinander. Das Vertraute. Vielleicht sind es die Socken, die immer auf dem Fußboden lagen und dich störten. Der leere Boden erinnert dich jetzt immer wieder daran, dass etwas anders ist. Vielleicht ist es auch der fehlende Kaffeeduft am Morgen, wenn du aus dem Bad kamst. Oder einfach, dass jemand neben dir im Bett liegt.
Diese Lücke, die der Verstorbene hinterlassen hat, kann auch nicht einfach durch andere Menschen gefüllt werden. Denn derjenige, den du verloren hast, war etwas ganz besonderes für dich. Vielleicht triffst du irgendwann einen neuen Partner oder bekommst noch einmal ein Kind. Trotzdem werden sie kein Ersatz sein für denjenigen, die du verloren hast. Vielleicht reden sie anders, riechen anders, haben andere Interessen oder lieben dich anders.
Werde dir dieser Leerstelle bewusst
Diese Leerstelle in deinem Leben ist schmerzhaft. Vielleicht möchtest du diesen Schmerz wegmachen, um ihn nicht mehr zu spüren. Vielleicht hast du auch Angst, ihn nicht aushalten zu können. Vielleicht macht dir auch die Leere an sich Angst. Dieses schwarze Nichts. Die Taubheit in dir. Dieses Abgespaltensein von dir und der Welt.
Natürlich kannst du versuchen, diese Leerstelle zu stopfen. Mit exzessiver Arbeit. Mit intensiven Freizeitaktivitäten wie Sport, Partys oder Shopping. Mit Alkohol oder anderen Drogen. Das kann eine Weile funktionieren. Aber sobald die Wirkung nachlässt, wird die Leere und Einsamkeit wieder da sein. Und gegebenenfalls nach neuer Betäubung verlangen. Das Weglaufen wird dir auf Dauer wahrscheinlich nicht helfen.
Alternativ kannst du innehalten und dir dieser Leerstelle bewusst werden. Schon zu akzeptieren, dass sie da ist, kann ein erster Schritt sein. Sie zu sehen und anzuerkennen, dass sie weh tut. Vielleicht gelingt es dir, sie genauer zu betrachten. Wie sie aussieht, welche Form sie hat, wie sie sich anfühlt. Achte jedoch immer darauf, was du dir selbst in diesem Moment gerade zumuten kannst. Vielleicht ist es noch zu früh nach dem Verlust. Dann versuche es später noch einmal.
Wer bist du ohne den Menschen, den du verloren hast?
Was es so schwer macht, diese Leerstelle auszuhalten, ist auch, dass sie dich und dein Leben in Frage stellt: Wer bist du jetzt, wo du deinen Partner verloren hast? Bist du dann noch eine (Ehe-)Frau? Was definiert überhaupt eine (Ehe-)frau? Wie oft erwischst du dich vielleicht dabei, dass du noch von „wir“ statt „ich“ sprichst? Was bedeutet dieses „wir“ und was das „ich“? Wer bin ich jetzt überhaupt?
Auch der Verlust eines Kindes reißt solche Fragen auf. Bist du jetzt noch eine Mutter? Warst du es überhaupt, wenn dein Kind noch im Mutterleib verstorben bist? Du hast dich, solange es in dir und bei dir war, als Mutter gefühlt. Soll das jetzt einfach weg sein? Auch wenn ein Außenstehender dir sagt, dass du selbstverständlich noch Mutter bist – kannst du es fühlen und glauben? Oder kommt es dir falsch vor?
Gleiches gilt, wenn du deinen Eltern sehr nahestandest und sie sterben. Gerade ihr Tod macht dir deine eigene Endlichkeit bewusst. Jetzt ist niemand Nahestehendes mehr, der statistisch gesehen vor dir sterben wird. Niemand ist mehr da, der dich als sein Kind betrachtet. Bei dem du dir vielleicht Rat und Hilfe in schwierigen Situationen holen kannst. Der dich kennt, wie sonst wahrscheinlich kein anderer. Jetzt musst du deinen Weg ohne sie gehen.
Dein neues anderes Leben
Auf die Frage, wer du ohne den Menschen bist, den du verloren hast, gibt es keine allgemeingültige Antwort, nur deine eigene. Sie zu finden ist ein Prozess, keine Tages- oder Wochenaufgabe. Einige Antworten ergeben sich vielleicht mit der Zeit, durch die Dinge, die dir in deinem weiteren Leben begegnen. Eine Antworten wirst du auch aktiv suchen müssen, weil sie dich sonst immer weiter belasten. Setze dich nicht unter Druck und lasse auch nicht zu, dass andere das tun. Du hast alle Zeit der Welt.
Achte darauf, dass deine Antworten für dich stimmig sind. Sie müssen nicht für andere passen, nur für dich. Denn wenn sie für dich nicht stimmig sind, dann helfen sie dir auf Dauer auch nicht weiter. Dann werden sie nur hohle Phrasen bleiben und die Leerstelle in deinem Leben nicht erträglicher werden lassen. Es kann auch sein, dass du zunächst Antworten findest, die sich später als nicht mehr zutreffend herausstellen. Dann ist es Zeit, sie neu zu überdenken und gegebenenfalls abzuändern.
Die Antworten werden dir helfen, dein weiteres Leben zu gestalten. Es wird anders sein als vorher. Narben werden bleiben. Wie bei allen Verwundungen, die du erleidest. Vielleicht bleiben sie sichtbar, vielleicht machen sie sich aber auch nur ab und zu bemerkbar. Achte auf dich und hol dir Unterstützung, wenn du den Eindruck hast, sie zu benötigen. Du musst dich dafür nicht schämen.
Achte auf dich.
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