Ein Kind zu bekommen, gehört für die meisten Menschen zum Leben dazu. Doch was ist, wenn das nicht klappt? All die Liebe, die du deinem Kind geben wolltest, all das, was du für eure gemeinsame Zukunft geplant hattest, hängt dann in der Luft. Stattdessen ist da eine gewaltige Lücke, die nicht zu schließen ist. Dir diese Leerstelle bewusst zu machen, ist Teil des Trauerprozesses beim Abschied vom Kinderwunsch. Zu akzeptieren, dass sie da ist und schmerzt.
Diese Leerstelle stellt auch dich selbst in Frage. Wer bist du ohne dein Kind? Bist du noch eine Mutter, wenn du dein Kind verloren hast? Was macht dein Leben aus, wenn das, was du dir vorgestellt hattest, nicht eintreten wird? Welche Grundlage hat deine Partnerschaft, wenn aus ihr keine Kinder hervorgehen können?
Diese Frage kannst du nur für dich selbst beantworten. Lass dir dafür die Zeit, die du brauchst, auch wenn es Jahre dauert. Vielleicht macht es dir Angst, dich damit auseinander zu setzen. Das ist verständlich, ist doch vieles in deinem Leben nicht so, wie du es dir gewünscht hattest. Wenn du den Eindruck hast, das es allein für dich zu schwer ist, kannst du dir auch Unterstützung holen.
Kinderwunsch als Lebensinhalt
Es gibt viele Gründe, warum wir Kinder haben möchten. Die einen möchten gern etwas weitergeben an eine nachfolgende Generation. Für andere haben Kinder immer schon zum Leben dazu gehört. Es gibt auch Menschen, die hoffen, dass sich ihr Leben mit Kindern verbessert und lebenswerter ist. Für weitere sind Kinder der Inhalt ihres Daseins. Keiner dieser Gründe ist besser oder schlechter als der andere. Sie sind – auf ihre Art – alle in Ordnung.
Zunächst ist der Kinderwunsch meist nur ein Teil deines Lebens. Wenn sich dann jedoch keine Schwangerschaft einstellt oder diese nicht hält, rückt der unerfüllte Kinderwunsch oft immer mehr in den Mittelpunkt. Alles dreht sich dann vielleicht nur noch um fruchtbare Tage, gesunde Ernährung, Stressvermeidung oder ähnliches. Dein Leben richtet sich nach Arztterminen und Medikamenteneinnahme.
Doch was, wenn das alles nichts bringt? Wenn du trotzdem nicht schwanger wirst oder bleibst? Es gibt Frauen und Paare, die dann kein Ende finden können oder wollen. Vielleicht beim nächsten Mal? Denn was wäre die Alternative zum Weitermachen? Da bliebe nur das Aufhören und ein Leben ohne Kind(er). Für viele eine schreckliche Vorstellung. Denn wer bist du ohne ein Kind?
Ohne Kind bleibt eine Leerstelle
Die Frage, wer du ohne Kind bist, ist eine der am schwersten zu beantwortenden beim Abschied vom Kinderwunsch. Wir alle haben eine Vorstellung von unserem Leben. Für viele Menschen gehören Kinder dazu. Wenn diese Kinder dann nicht kommen, bleibt eine Leerstelle. Etwas fehlt. Diese Leere ist sehr schmerzhaft, manchmal nicht auszuhalten. Gerade wenn dir Schwangere oder Mütter mit Babys begegnen.
Natürlich kannst du versuchen, diese Leerstelle zu stopfen. Mit exzessiver Arbeit. Mit intensiven Freizeitaktivitäten wie Sport, Partys oder Shopping. Mit Alkohol oder anderen Drogen. Das kann eine Weile funktionieren. Aber sobald die Wirkung nachlässt, wird die Leere und Einsamkeit wieder da sein. Und gegebenenfalls nach neuer Betäubung verlangen. Das Weglaufen wird dir auf Dauer wahrscheinlich nicht helfen.
Alternativ kannst du innehalten und dir dieser Leerstelle bewusstwerden. Schon zu akzeptieren, dass sie da ist, kann ein erster Schritt sein. Sie zu sehen und anzuerkennen. Wahrnehmen, dass sie schmerzt. Vielleicht gelingt es dir, sie genauer zu betrachten. Wie sie aussieht, welche Form sie hat, wie sie sich anfühlt. Achte jedoch immer darauf, was du dir selbst in diesem Moment gerade zumuten kannst. Vielleicht ist es noch zu früh. Dann versuche es später noch einmal.
Wer bist du ohne (d)ein Kind?
Was es so schwer macht, diese Leerstelle auszuhalten, ist auch, dass sie dich und dein Leben in Frage stellt: Wer bist du jetzt, wenn du keine Kinder bekommen kannst? Seid ihr eine Familie oder „nur“ ein Paar? Was hält euch noch zusammen oder könnte sich dein Kinderwunsch mit einem anderen Partner doch noch erfüllen? All diese Fragen, egal ob ausgesprochen oder nicht, können eine Partnerschaft auf eine harte Probe stellen.
Auch der Verlust eines Kindes reißt solche Fragen auf. Bist du jetzt noch eine Mutter? Warst du es überhaupt, wenn dein Kind noch im Mutterleib verstorben bist? Du hast dich, solange es in dir und bei dir war, als Mutter gefühlt. Soll das jetzt einfach weg sein? Auch wenn ein Außenstehender dir sagt, dass du selbstverständlich noch Mutter bist – kannst du es fühlen und glauben? Oder kommt es dir falsch vor?
Diese Fragen sind meist sehr schmerzhaft. Doch es ist keine Alternative, sie sich nicht zu stellen, wenn sie nach oben drängen. Dann gären sie unter der Oberfläche und belasten dein Leben und deine Beziehung nur umso mehr. Sei aufrichtig zu dir, wenn du die Fragen beantwortest. Gerade, wenn unterschwellig ein Zweck mit der gewünschten Schwangerschaft verbunden war, wie die Festigung der Partnerschaft, bringt es nichts, dir weiter etwas vorzumachen.
Dein neues anderes Leben
Auf die Frage, wer du ohne Kind bist, gibt es keine allgemeingültige Antwort, nur deine eigene. Sie zu finden ist ein Prozess, keine Tages- oder Wochenaufgabe. Einige Antworten ergeben sich vielleicht mit der Zeit durch die Dinge, die dir in deinem weiteren Leben begegnen. Einige Antworten wirst du auch aktiv suchen müssen, weil sie dich sonst immer weiter belasten. Setze dich nicht unter Druck und lasse auch nicht zu, dass andere das tun. Du hast alle Zeit der Welt.
Achte darauf, dass deine Antworten für dich stimmig sind. Sie müssen nicht für andere passen, nur für dich. Denn wenn sie für dich nicht stimmig sind, dann helfen sie dir auf Dauer auch nicht weiter. Dann werden sie nur hohle Phrasen bleiben und die Leerstelle, die durch den unerfüllten Kinderwunsch entstanden ist, in deinem Leben nicht erträglicher werden lassen. Es kann auch sein, dass du zunächst Antworten findest, die sich später als nicht mehr zutreffend herausstellen. Dann ist es Zeit, sie neu zu überdenken und gegebenenfalls abzuändern.
Deine Antworten werden dir helfen, dein weiteres Leben zu gestalten. Es wird anders sein als vorher, wenn sich nicht mehr alles um das Schwanger werden dreht. Narben werden bleiben. Wie bei allen Verwundungen, die du erleidest. Vielleicht bleiben sie sichtbar, vielleicht machen sie sich aber auch nur ab und zu bemerkbar. Achte auf dich und hol dir Unterstützung, wenn du den Eindruck hast, sie zu benötigen. Du musst dich dafür nicht schämen.
Achte auf dich.
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