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  • AutorenbildAntje Przyborowski

Eine künstliche Befruchtung ist kein Spaziergang

„Niemand, der diese Behandlungen nicht selbst gemacht hat, kann sich vorstellen, was eine künstliche Befruchtung tatsächlich bedeutet.“ Diese Aussage höre ich immer wieder von Frauen, die sich dem unterziehen und sie deckt sich mit meiner eigenen Erfahrung. Die vielen Stunden auf den Fahrten in die Kinderwunschklinik, selbstgesetzten Spritzen, Medikamente, Operationen, Stunden des Wartens und Bangens, all das ist eine schier unglaubliche Belastung, die vor allem Frauen mit Kinderwunsch auf sich nehmen, nur um am Ende ihren sehnlichsten Wunsch – ein eigenes Kind – erfüllt zu bekommen.


Das eigene Umfeld bekommt oft nichts oder nur einen Teil davon mit. Sei es, weil das Paar sich über die Behandlungen bedeckt hält, da das Verständnis von Freunden und Verwandten dafür fehlt. Sei es, weil sie sich selbst nicht eingestehen wollen, wie schwer dieser Weg ist, da es sonst noch schwerer wird weiterzumachen. Oft spielen auch Scham und Schuld eine Rolle, denn „bei anderen klappt es ja auch“.


Dieses Schweigen und die damit verbundene Einsamkeit kann zusammen mit den physischen und psychischen Belastungen der medizinischen Behandlungen zu einer Abwärtsspirale führen. Alles, was dabei passiert, kann dich immer weiter runterziehen. Doch du bist nicht allein. Denn es gibt mehr Frauen und Paare, als du denkst, denen es genauso geht wie dir. Sie finden sich manchmal in deinem unmittelbaren Umfeld, aber auch in Internetforen. Genauso kann dir ein guter Therapeut eine Hilfe sein.




Belastungen werden oft unterschätzt


Für Außenstehende klingt das oft so leicht: Wenn es auf natürlichem Wege nicht klappt mit einem Kind, dann gehst du zum Arzt, der wird schon helfen. Die Medizin ist ja heute soooo weit. Doch so einfach ist es dann doch nicht. Was mit „Hormonelle Stimulation“, „Eizellentnahme“ und „Embryonentransfer“ überschaubar klingt, ist nicht nur eine Aneinanderreihung von medizinischen Vorgängen, sondern auch eine große physische und psychische Belastung vor allem für die Frauen.


Manch ein Paar empfindet die „Technisierung“ der Kinderwunschbehandlung zunächst als beruhigend. Klingt doch alles machbar. Sie verspricht Kontrolle über etwas Unkontrollierbares wie das Schwangerwerden. Gerade wenn beide Partner noch jung sind, sind die Erfolgsaussichten einer künstlichen Befruchtung recht gut. Das Ziel, ein Baby zu bekommen, rückt gefühlt in greifbare Nähe.


Doch meist kommt recht schnell die Ernüchterung. Allein die terminliche Abstimmung des Behandlungsplanes auf berufliche oder familiäre Anforderungen ist eine Herausforderung. Nicht jede Frau und jeder Mann möchte seine Kollegen und Vorgesetzten über die geplante Behandlung informieren, ist doch bei vielen Paaren nach wie vor viel Scham mit dem unerfüllten Kinderwunsch verbunden. Und nicht jeder Arbeitgeber hat Verständnis für die Lage des Paares. Auch haben Kollegen gern dumme Sprüche hierzu auf Lager, denen sich viele Paare verständlicherweise nicht aussetzen wollen.


Dazu kommen oft weite Wege zur nächsten oder manchmal auch besser geeigneten Kinderwunschklinik. Fahrzeiten von mehr als einer Stunde einfache Strecke sind eher die Regel als die Ausnahme. Und wie schnell steht man im Stau, so dass es noch länger dauert. Wer da keine flexiblen Arbeitszeiten oder einen toleranten Arbeitgeber hat, dem bleibt vielleicht nur, für die Untersuchungstermine Urlaub nehmen, der dann natürlich für die gerade jetzt notwendige Erholung fehlt.


In diesem Umfeld müssen sich Frauen in der Regel täglich über 8 bis 10 Tage zur hormonellen Stimulation spritzen. Schon allein das bedeutet für viele eine große Überwindung. Sich selbst eine Spritze zu setzen wie ein Junkie. Auch wenn die Spritze ins Bauchfett und nicht in die Ader muss, ist die Prozedur oft schmerzhaft. Nicht immer trifft man eine Stelle, an der es einfach funktioniert. Das ist nichts, was man öfter haben muss.


Daneben sind täglich Tabletten zu nehmen, um die Folikelreifung zu unterstützen oder andere hormonelle Probleme zu regulieren. Dazu kommt das Trinken von 3,5 bis 4 Litern Wasser, damit es nicht zu einer Überstimulation durch die Hormongabe kommt. Selbst für jemanden, der schon vorher viel getrunken hat, ist das eine Herausforderung, die in der Regel nur durch einen „Trinkplan“ zu bewältigen ist. Und was oben reinkommt, muss unten wieder heraus. Ich erinnere mich gut an die ständige Suche nach der nächsten Toilette.


All das ist erst der Anfang. Es folgt die Eizellentnahme, eine Operation. Später dann das Wiedereinsetzen der befruchteten Eizellen. Blutentnahmen. Und immer wieder Warten, Warten, Warten. Hoffen, Bangen, Enttäuschung. Neben den emotionalen Schwankungen durch die hormonelle Behandlung ist das etwas, was sehr stark an die Substanz geht. Irgendwann traut man sich gar nicht mehr auf Erfolg zu hoffen aus Angst, wieder enttäuscht zu werden.



Behandlungen können in die Isolation führen


Paare gehen im Familienkreis sehr unterschiedlich mit dem Thema „Künstliche Befruchtung“ um. Die einen erzählen sehr offen von ihren Problemen. Andere wiederum verschweigen die Behandlungen oder vermeiden das Thema weitgehend. Letzteres kann unterschiedliche Gründe haben. Diese können im mangelnden Verständnis des Umfeldes liegen. („Entspannt euch mal, Fahrt in den Urlaub, dann klappt es schon“). Auch indirekte Schuldzuweisungen von Eltern oder Schwiegereltern können eine Rolle spielen („An meinem Sohn liegt es nicht.“)


Gern werden auch Ratschläge, wie „Probiere mal dies oder jenes, das hat bei mir auch geholfen“ gegeben. Als wenn es so einfach wäre. In vielen Fällen ist gar nicht klar, warum es mit einer Schwangerschaft nicht funktioniert. Frauen und Paare probieren dann alles Mögliche aus, geben sich „Mühe“, und dass alles ohne Erfolg. Das ist frustrierend und regt bestimmt nicht dazu an, sich gegenüber Außenstehenden zu öffnen.


Auch gut gemeinte Nachfragen, ob es denn diesmal geklappt hat, können dazu führen, dass ein Paar sich kaum zu den Behandlungen äußert. Wenn du dich jedes Mal erklären muss, wie der Stand der Dinge ist, ist das für deinen Gemütszustand nicht immer hilfreich. Die Folge ist oftmals der Rückzug aus Freundschafts- und anderen Beziehungen. Damit werden zwar Erklärungen vermieden. Diese Strategie kann aber auch in die Isolation führen, weil dann auch niemand mehr danach fragt, wie es dir geht.


Eine große Rolle bei unerfülltem Kinderwunsch und gerade auch bei künstlichen Befruchtungen spielen nach meiner Erfahrung Scham und Schuld. „Wenn alle anderen Frauen schwanger werden, dann muss ich ja etwas falsch gemacht haben, wenn es bei mir nicht klappt.“ Für alle anderen ist es doch so einfach. Besonders dann, wenn die Ursache bei einem der Partner liegt, sind Schuldzuweisungen schnell bei der Hand.


Diese müssen nicht einmal von außen kommen. Es reicht, wenn du dir selbst die Schuld daran gibst, dass es nicht klappt. Schuld hat leider immer zwei Seiten. Zum einen gibt sie dir deine Handlungsfähigkeit zurück („Ich bin schuld, ich hätte es besser machen können. Es lag also in meiner Macht.“). Auf der anderen Seite wertet sie dich ab. Und zwar mehr, als es ein Außenstehender je tun würde. Diese Abwertung kann dich immer weiter in die Isolation treiben und sogar von deinem Partner entfernen.


Dabei ist diese Zeit ohnehin schon eine sehr große Belastung für eine Beziehung. Auch ohne Schuldzuweisungen haben die mit einem unerfüllten Kinderwunsch einhergehenden Belastungen die Kraft, eine Partnerschaft zu sprengen. Nicht wenige Paare trennen sich, wenn es mit dem leiblichen Kind nicht klappt. Gerade deshalb ist es wichtig, dass beide Partner auf sich und aufeinander achten, um davon nicht auseinander getrieben zu werden.



Du bist nicht allein


Während dieser belastenden Zeit sieht man oft den Wald vor lauter Bäumen nicht. Auch wenn es den gegenteiligen Anschein erweckt: Du bist nicht allein. In Deutschland ist nach Veröffentlichungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Es gibt also wesentlich mehr Frauen und Paare mit einem unerfüllten Kinderwunsch, als du vielleicht den Eindruck hast.


Nicht immer sind sie jedoch in deinem unmittelbaren Umfeld zu finden. Dann können Internetforen wie zum Beispiel „wunschkinder.de“ oder „klein-putz.net“ gute Anlaufstellen sein. Du bekommst dort die Möglichkeit, dich mit anderen Betroffenen austauschen, dir Mut und Ratschläge holen. Auch in sozialen Medien teilen immer mehr Frauen ihre Erfahrungen und holen sich Zuspruch und Trost. Auch virtuelle Unterstützung kann helfen, gut durch die Behandlungen zu kommen.


Das Gute an einem solchen Austausch ist: Du musst nichts erklären. Die anderen (meist) Frauen wissen, wie belastend deine Situation ist. Sie wissen, was es heißt, sich zu spritzen, „ewig“ zu warten, das Auf und Ab der hormonellen Schwankungen durchzumachen, nach einem „Negativ“ in ein Loch zu stürzen. Wenn sie dir sagen, dass sie mit dir fühlen, dann sind das keine hohlen Phrasen, sondern echtes Mitgefühl.


Der „Nachteil“ eines solchen Austausches ist, dass du natürlich mitbekommst, wenn eine der anderen Schreiberinnen schwanger wird. Bei allem Mitfreuen kann sich dann auch Neid, Wut oder Hoffnungslosigkeit einstellen. Diese Gefühle sind sicher nicht schön für dich, aber völlig verständlich in deiner Situation. Sie sich ein- und zuzugestehen, kann entlastend für dich sein. Schließlich bist du auch nur ein Mensch.


Doch was ist, wenn du dich nicht im Internet öffnen möchtest oder den dortigen Austausch als nicht hilfreich empfindest? Dann kann ein guter Therapeut eine Hilfe sein. Manchmal reicht es schon, wenn dir jemand ohne Vorbehalte zuhört. Sich alles von der Seele zu reden oder zu schreiben, kann erleichternd sein. Oft findet sich dabei auch die eine oder andere Erkenntnis, die dir weiterhilft, deinen Weg zu gehen, ohne wieder in einem Strudel aus Einsamkeit und Selbstvorwürfen zu versinken.


Der erste Schritt heraus aus der Isolation ist oftmals der schwerste, vor allem wenn du jemand bist, der seine Probleme gewöhnlich mit sich selbst ausmacht und meint, sich da allein durchkämpfen zu müssen. Doch nach diesem ersten Schritt wird es meist leichter. Vielleicht zunächst nur in kleinen Nuancen, doch jeder noch so kleine Schritt kann dir auf deinem Weg weiterhelfen. Ich wünsche dir den Mut dafür.


Achte auf dich.


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