Am Schreiben scheiden sich die Geister. Die einen schreiben mit Begeisterung. Sie formulieren gern, tragen ihr Wissen zusammen. Sie besuchen sogar Schreibkurse. Andere wiederum erinnern sich mit Schrecken an ihre Schulzeit, in der Hausarbeiten und Aufsätze gefordert und bewertet wurden. Sie sehen die vielen roten Striche an den geschriebenen Seiten immer noch vor sich. Sie möchten am liebsten gar nichts mehr damit zu tun haben. Das kann ich gut verstehen. Niemand möchte gern seine Fehler präsentiert bekommen.
An dieser Stelle unterscheidet sich das Schreiben, was ich dir im folgenden Beitrag vorstellen möchte, von eventuellen schlechten Erinnerungen an die Schulzeit. Hier schreibst du nur für dich. Schaue es dir an. Vielleicht ist es auch für dich eine schöne Möglichkeit, dir selbst in deiner Trauer zu helfen.
Schreiben als künstlerische Ausdrucksform
Zunächst einmal ist Schreiben einfach nur eine künstlerische Ausdrucksform. So wie Malen, Tanzen oder Musizieren. Ohne Anspruch auf Schönheit oder Leistung. Ohne Bewertung. Mit dem Schreiben erschaffst du etwas. Du hältst Gedanken fest, skizzierst Ideen. Die Länge eines Textes sagt dabei nichts über die Tiefe deiner Gedanken aus. Du erschaffst. Nicht mehr und nicht weniger.
Verlässlich verfügbar
Natürlich nimmt dir das Schreiben nicht die Trauer. Aber es hilft dir, damit zu leben. Schreiben hat den Vorteil, dass es für die meisten Menschen verlässlich verfügbar ist. Wir haben es gelernt. Es ist da. Vielleicht nicht perfekt, aber um Perfektion geht es hier gerade nicht. Es ist auch zeitlich und örtlich unabhängig. Wir können überall schreiben – in der U-Bahn, auf dem Sofa, im Wald. Überall da, wo es uns gut tut. Wenn wir immer wieder schreiben, wirkt es auch nachhaltig, weil wir die entlastende Wirkung spüren können.
Zurück in die Handlungsfähigkeit
Indem du jetzt durch das Schreiben etwas erschaffst, kommst du zurück in die Handlungsfähigkeit. Gerade in der Trauer fühlen wir uns oft ohnmächtig. Wir wurden nicht gefragt, ob derjenige, um den wir trauern, sterben sollte. Niemand will wissen, ob wir mit diesem Verlust gut zu Rande kommen. Es passierte. Wir fühlen uns ohne Macht – ohnmächtig. Durch Schreiben bist deinem Verlust nicht mehr hilflos ausgeliefert. Du kannst Ängste benennen, Gefühle beschreiben und verwandeln.
Entlastung für die Seele
Schreiben kann deine Seele entlasten. In der Trauer grübeln wir oft: Hätte ich dieses getan, wäre es nicht passiert? Wo habe ich versagt? Warum habe ich dir dies oder jenes nicht mehr gesagt? Viele, viele Warums, Wiesos, Weswegen plagen uns. Dein Unterbewusstsein hat gar keine Möglichkeit mehr, durch diese Grübeleien zu dir durchzudringen. Durch Schreiben kannst du dieses Muster durchbrechen. Und wieder etwas freier atmen.
Erschaffung neuer Räume in dir
Das Schreiben bietet dir auch die Möglichkeit, neue Räume zu erschaffen. Du kannst einen Schonraum gestalten, in dem es den Verlust nicht mehr gibt, wo alles gut ist, und dort verweilen. Du kannst einen Ruheraum für dich finden, in dem die Alltagssorgen außen vor bleiben. Du kannst auch einen Kraftraum aufsuchen, in dem du neue Kraft für dich schöpfst. Auch ein Zukunftsort ist möglich, in dem du erste Ausblicke wagen kannst. Wenn du diese Räume niederschreibst, können sie Halt in deiner Trauer geben.
Einfach loslegen
Wenn du schreibst, dann schreibe ohne lange nachzudenken. Nimm dir ein Thema und lege los. Rechtschreibung, Grammatik, Ausdruck sind völlig egal. Habe keine Angst vor den Gefühlen, die darin zum Ausdruck kommen. Niemand wird deine Niederschrift kontrollieren und bewerten. Du schreibst nur für dich. Für niemanden sonst.
Wenn du noch einen Schritt weitergehen möchtest, lies dir deinen Text danach laut vor. Höre dir zu, was du geschrieben hast. Halte inne. Achte auf das, was das Geschriebene an Gefühlen in dir auslöst. Wut, Tränen, Angst, Bitterkeit, aber auch Lachen und Freude – alles ist in Ordnung.
Wenn du merkst, das Vorlesen tut dir jetzt nicht gut, lege das Geschriebene zur Seite. Vielleicht geht es an einem anderen Tag besser. Selbstverständlich kannst du es auch zerreißen, verbrennen, schreddern. Je nachdem, was dir in diesem Moment, in dieser Situation richtig erscheint. Es ist dein Umgang mit dem Geschriebenen. Es sind deine Gefühle.
Wie anfangen?
Die Art und Weise, wie du schreibst, bleibt dir überlassen. Vielleicht kannst du dir vorstellen, ein Trauertagebuch zu führen. Manchem hilft es, täglich einen Morgenbrief an den oder die Verstorbene zu verfassen. Weitere Möglichkeiten sind zum Beispiel
ein Erinnerungsbuch oder eine Biografie des/der Verstorbenen scheiben,
einen Brief an den/die Verstorbene(n) aufsetzen oder
die Trauerrede für den/die Verstorbene(n) entwerfen.
Auch ein Tagesrückblick am Abend mit positiven Begegnungen, Momenten und Gefühlen kann hilfreich sein. Probiere es einfach aus.
Du kannst auch einzelne Fragen, die dich beschäftigen, aufgreifen. Gerade Fragen rund um den Tod eines Verstorbenen belasten uns oft und lassen uns in Grübelschleifen verharren. Vielleicht sprechen dich eher die folgende beispielhaften Fragen und Anregungen an, um mit dem Schreiben zu beginnen:
Wie hast du vom Tod der/des Verstorbenen erfahren?
Was hast du empfunden, als du von Tod der/des Verstorbenen erfuhrst?
Was gibt dir die Kraft zum Weiterleben?
Erinnere dich an eine schöne Situation mit dem/der Verstorbenen und beschreibe, wie diese Person dich bereichert hat.
Was ist seit dem Tod des/der Verstorbenen für dich schwieriger geworden?
Beispiel für ein Erinnerungsbuch
Ein schönes Beispiel für ein Erinnerungsbuch ist das Buch „Paula“ von Isabel Allende. Als deren Tochter schwer erkrankt und ins Koma fällt, beginnt sie, um nicht verrückt zu werden, ihr in einem Brief die Geschichte ihrer Familie zu erzählen. Parallel beschreibt sie, wie sie mit den Ärzten und dem Schicksal hadert und wie schwer es für sie ist, ihre Tochter, für die es keine Heilung gibt, gehen zu lassen. Das Aufschreiben all der Geschehnisse und Gefühle brachte Isabel Allende Trost in diesen langen schweren Stunden.
Zu den Schreibmöglichkeiten, die du in der Trauer nutzen kannst, werde ich in den nächsten Beiträgen näher eingehen.
Vielleicht hast du jetzt gesehen, dass Schreiben nicht unbedingt etwas mit den schlechten Erfahrungen deiner Schulzeit zu tun hat. Stattdessen kann es dir in den schweren Stunden deiner Trauer helfen. Es gibt dir die Möglichkeit, wieder handlungsfähig zu werden. Deine Seele wird entlastet und kann wieder etwas freier atmen. Das Schreiben nimmt dir nicht die Trauer, aber es hilft dir, damit zu leben.
Hast du schon mal probiert, etwas über deine Trauer zu schreiben? Was war es und wie ging es dir damit?
Achte auf dich.
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